Lokal, Authentisch, Transparent, zurückverfolgbar (Traceable) und Ethisch korrekt: Wie LATTE wirtschaften landwirtschaftliche Betriebe in Luxemburg?

Globale Umweltprobleme, wie die Verschmutzung der Trinkwasserressourcen durch Nährstoffeinträge und Pestizide aus landwirtschaftlichen Aktivitäten, Verlust der biologischen Vielfalt, Bodenerosion und -degradation sowie Klimawandel spiegeln sich auch in Luxemburg wider. Diese Gefährdung von Ökosystemen und der Verlust natürlicher Ressourcen sind Herausforderungen, mit denen der Lebensmittel- und Landwirtschaftssektor konfrontiert ist. Diese Sektoren sind sowohl Leidtragende als auch Verursacher dieser Probleme, und es sind Änderungen in den landwirtschaftlichen Praktiken erforderlich, um diese anzugehen und die Ernährungssicherheit für zukünftige Generationen zu gewährleisten. Abgesehen von den Produktionspraktiken wird die Nachhaltigkeit des Lebensmittel- und Landwirtschaftssektors auch von den Verbrauchern und ihren Lebensmittelentscheidungen beeinflusst, indem sie eine Nachfrage nach bestimmten Lebensmittelgruppen oder bestimmten Produktionspraktiken schaffen. In dem Projekt „SustEATable – Integrierte Analyse von Ernährungsmustern und landwirtschaftlichen Praktiken für nachhaltige Ernährungssysteme in Luxemburg“ wird die Nachhaltigkeit des luxemburgischen Lebensmittelsystems auf zwei Ebenen bewertet: auf der Ebene der landwirtschaftlichen Betriebe und auf der Ebene des Lebensmittelsystems. Die Resultate werden zusammengeführt und zur Formulierung zielgruppenspezifischer Empfehlungen für die Entwicklung nachhaltiger Lebensmittelsysteme genutzt.

„Wie sehen die derzeitigen landwirtschaftlichen Praktiken in Luxemburg aus und welche wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen ergeben sich daraus auf Betriebsebene?  Wie wirkt sich die Betriebsführung (konventionell/ biologisch) auf die wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit aus? Und inwieweit beeinflusst das Vorhandensein und die Art der Tierhaltung diese Nachhaltigkeitsziele?“. Um diese Fragen zu beantworten, wurden in der ersten Projektphase Nachhaltigkeitsbewertungen auf den landwirtschaftlichen Betrieben in Luxemburg mit dem SMART (Sustainability Monitoring and Assessment RouTine)-Farm-Tool durchgeführt. Das Tool ermöglicht es, Nachhaltigkeitsleistungen landwirtschaftlicher Betriebe transparent und vergleichbar zu analysieren und zu bewerten (Curran et al., 2020; Schader et al., 2016). Das SMART-Farm-Tool legt die SAFA (Sustainability Assessment of Food and Agriculture Systems) Nachhaltigkeitsleitlinien  der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen (FAO, 2014) zugrunde und macht diese in der Praxis effizient anwendbar. So werden neben den Dimensionen der Ökologischen Integrität, Unternehmensführung, Ökonomischen Resilienz auch das Soziale Wohlergehen betrachtet. Diese vier Dimensionen enthalten wiederum 58 Unterthemen, für die jeweils ein international anerkanntes spezifisches Nachhaltigkeitsziel definiert ist (Abbildung 1).

Abbildung 1: Übersicht der 4 Nachhaltigkeits-Dimensionen, 21 Nachhaltigkeits-Themen und 58 Unterthemen gemäß SAFA-Leitlinien und beispielhafte Definitionen der Zielerreichung (verändert nach FAO, 2014 und SFS, 2015).

Da diese Zielerreichung nicht direkt gemessen werden kann, ist es notwendig, Indikatoren zur Bestimmung der Zielerreichung heranzuziehen. Je nach Betriebszweig und Betriebsausrichtung werden mehr als 300 Indikatoren (qualitativer und quantitativer Natur) berücksichtigt, die jeweils unterschiedlich gewichtet werden und einen Einfluss auf mehrere Unterthemen haben können. Somit wird der Betrieb ganzheitlich betrachtet und zudem auch der vorgelagerte indirekte Einflussbereich des Betriebsmanagements mit abgedeckt, z.B. welche Betriebsmittel werden gekauft, wo kommen diese her und unter welchen Bedingungen wurden sie hergestellt?

Auf den Aufruf zur Teilnahme an der Nachhaltigkeitsbewertung in Luxemburg im Herbst 2018 gingen insgesamt 105 Antworten ein, von denen 87 Betriebe auf ihre Nachhaltigkeitsleistungen hin durch das IBLA analysiert wurden. Diese 87 Betriebe repräsentieren 4,5 % aller landwirtschaftlichen Betriebe im Bezugsjahr 2017 (Ministère de l’Agriculture, de la Viticulture et du Développement rural, 2020). Sie bewirtschaften 8.666 ha landwirtschaftliche Fläche (6,6 % der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in Luxemburg), die sich zu 49,9 % aus Ackerland und zu 49,8 % aus Dauergrünland zusammensetzt. Diese Anteile sind repräsentativ hinsichtlich der Gesamtanteile von Ackerland und Dauergrünland an der landwirtschaftlichen Fläche in Luxemburg. Bezüglich des Bewirtschaftungssystems wurden 29 biologisch und 58 konventionell bewirtschaftete Betriebe befragt. Dies entspricht 30,9 % aller biologischen Betriebe und 3,2 % aller konventionellen Betriebe in Luxemburg im Jahr 2017. Der biologische Landbau ist in der Untersuchungsstichprobe von 87 Betrieben im Vergleich zu ganz Luxemburg überrepräsentiert (insgesamt 5,0 % Anteil des biologischen Landbaus). Von den insgesamt 87 Betrieben hatten 10 keine Tiere, 57 hielten Wiederkäuer, 5 hielten monogastrische Tiere (Schweine, Geflügel) und 15 Betriebe hielten sowohl Wiederkäuer als auch Monogastrier. Was die Ausrichtung der Betriebe mit Wiederkäuerhaltung betrifft, so konzentrierten sich 24 der 72 Betriebe mit Wiederkäuerhaltung (57 nur Wiederkäuer plus 15, die sie zusammen mit Monogastrier halten) auf die Fleischproduktion, 27 auf die Milchproduktion und 21 produzierten sowohl Fleisch als auch Milch als Hauptzweige ihres landwirtschaftlichen Unternehmens. Die Wiederkäuerhaltung ist mit 1.242 Betrieben (63,9 % aller Betriebe) im Bezugsjahr 2017 der wichtigste Betriebszweig in Luxemburg (Ministère de l’Agriculture, de la Viticulture et du Développement rural, 2020). Die Bedeutung dieses Sektors spiegelt sich auch in der Stichprobe wider: 82,8 % der Betriebe betreiben Milchviehwirtschaft und Mutterkuhhaltung.

Der Median, auch Zentralwert, der gesamten Nachhaltigkeitsleistung in den vier Nachhaltigkeitsdimensionen ist in Abbildung 2 dargestellt, ebenso wie die minimale und maximale Zielerreichung in jedem Thema (Stichprobengröße n = 87). Die Nachhaltigkeitsleistung liegt in den meisten Themen im Bereich der guten Nachhaltigkeit (61 – 80 % Zielerreichung). Die minimale und maximale Zielerreichung in jedem Thema zeigt, dass die Spanne zwischen der höchsten und der niedrigsten Nachhaltigkeitsleistung recht groß sein kann (z. B. Regionale Ökonomie oder Biodiversität). Der niedrigste Median der Nachhaltigkeitsleistung wurde im Thema Rechenschaftspflicht erreicht (35 % Zielerreichung), der höchste im Thema Partizipation (87 % Zielerreichung), beides Themen der Dimension „Gute Unternehmensführung“.

Abbildung 2: Mediane der Gesamtergebnisse der vier Nachhaltigkeitsdimensionen, wobei die minimale (Min) und maximale (Max) Zielerreichung für jedes Thema dargestellt ist (n = 87).

Die einzelbetrieblichen Ergebnisse aus der SMART-Nachhaltigkeitsbewertung können weiterführend verwendet werden, um eine übergreifende Analyse der Auswirkungen der Kategorien „Bewirtschaftung“, „Tierhaltung“ und „Ausrichtung der Wiederkäuerhaltung“ auf die SAFA-Zielerreichung auf der Unterthemenebene in den vier Dimensionen durchzuführen. So zum Beispiel in den drei Unterthemen (Diversität von Ökosystemen, Artenvielfalt, Genetische Vielfalt) des Themenbereiches Biodiversität. Vergleicht man konventionell mit biologisch wirtschaftenden Betrieben, also die Art der Bewirtschaftung, zeigen sich zwischen den beiden Bewirtschaftungsweisen deutliche und auch statistische abgesicherte signifikante Unterschiede in der Zielerreichung in diesen drei Unterthemen (Abbildung 3). Die größte Differenz ist bei dem Unterthema Artenvielfalt zu erkennen, bei dem konventionelle Betriebe eine 48 %-ige und biologische Betriebe eine 73 %-ige Zielerreichung aufweisen.

Abbildung 3: Mediane der Unterthemen in der Dimension Ökologische Integrität für die Bewirtschaftungsweisen konventionell (n=58) und biologisch (n=29).

Bei einem Blick auf die Tierhaltung und dem Vergleich der Betriebe, die keine Tierhaltung haben mit denen mit Wiederkäuerhaltung oder monogastrischer Haltung oder aber auch beiden Haltungsformen gemeinsam, zeigt sich im Themenbereich Biodiversität nur einen signifikanten Unterschied im Unterthema Genetische Vielfalt (Abbildung 4). Hier haben Betriebe ohne Tierhaltung (mediane Zielerreichung 67 %) eine signifikante höhere Zielerreichung im Vergleich zu Betrieben mit Wiederkäuerhaltung (42 %) oder Betrieben mit Monogastrierhaltung (40 %). Es gibt keine signifikanten Unterschiede zwischen Betrieben ohne Tierhaltung und Betrieben die sowohl Wiederkäuer als auch Monogastrier halten (54 %), und auch unter den Betrieben mit Tierhaltung gibt es keine signifikanten Unterschiede. Einen vertieften Blick auf die Wiederkäuerhaltung zeigt wiederrum signifikante Unterschiede in allen drei Unterthemen der Biodiversität auf. Wie bei der Bewirtschaftung ist die größte Differenz in der Artenvielfalt zu sehen (Milchvieh: 48 % mediane Zielerreichung, Fleischvieh: 73 %, kombinierte Haltung: 48 %) (Abbildung 5). In allen 3 Unterthemen der Biodiversität weisen Betriebe mit Fleischviehhaltung signifikant höhere Zielerreichungen auf verglichen zu Betrieben mit Milchviehhaltung oder kombinierter Haltung; keine signifikanten Unterschiede sind zwischen der Milchviehhaltung und der kombinierten Haltung gefunden worden.

Während hier nur einen kleinen Einblick in die Ergebnisse der Nachhaltigkeitsanalyse auf Betriebsebene anhand der drei Unterthemen im Thema Biodiversität gegeben wurde, lassen sich Unterschiede sowohl hinsichtlich der Bewirtschaftungsformen und Art der Tierhaltung hinweg über alle Unterthemen erkennen und nachweisen.

Abbildung 4: Mediane der Unterthemen in der Dimension Ökologische Integrität für die Kategorie Tierhaltung: keine Tiere (n=10), Wiederkäuerhaltung (n=57), Monogastrierhaltung (n=5), und kombinierte Haltung von Wiederkäuer und Monogastrier (beides) (n=15).

Um die Ergebnisse zu verstehen und ein Verständnis für das Verbesserungspotential einzelner Betriebe zu erhalten, ist ein Blick in die erhobenen Indikatoren notwendig, die zu der Zielerreichung eines jeden Unterthemas beitragen. So können Ansatzpunkte zur Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistungen herausgearbeitet werden. Durch deren Identifizierung ist es möglich alle Betriebe und somit den ganzen Sektor beim Wandel hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft zu unterstützen.

Abbildung 5: Mediane der Unterthemen in der Dimension Ökologische Integrität für die Kategorie Ausrichtung der Wiederkäuerhaltung: Milchvieh (n=27), Fleischvieh (n=24), und kombinierte Haltung von Milch- und Fleischvieh (beides) (n=21).

Die aus der Nachhaltigkeitsanalyse auf Betriebsebene resultierenden Ergebnisse werden im nächsten Schritt zur Modellierung des Ernährungssystems im Jahr 2050 genutzt. In darauf aufbauenden Szenarien werden anschließend verschiedene landwirtschaftliche Methoden und Ernährungsmuster zusammengeführt, um notwendige Änderungen zu ermitteln. Hierbei sollen die Fragen „Wie wirken sich die Ernährungsgewohnheiten und landwirtschaftliche Produktionssysteme auf die ökologische Nachhaltigkeit aus? Welche Veränderungen in Ernährungsmustern und landwirtschaftlichen Produktionssystemen sind notwendig um ein nachhaltiges Lebensmittelsystem in Luxemburg zu erreichen?“ beantwortet werden. Aus diesen Erkenntnissen werden differenzierte Strategien für die Entwicklung eines nachhaltigen Ernährungssystems in Luxemburg ausgearbeitet, um letztlich verantwortungsvolle Empfehlungen für ein nachhaltiges Ernährungssystem geben zu können.

Weiterführende Informationen und aktuelle Entwicklungen im Projekt finden Sie auf unserer Webseite www.ibla.lu.

Das Projekt SustEATable wird vom Ministère de l’Environnement, du Climat et du Développement Durable und der Oeuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte finanziert und von den Sponsoren OIKOPOLIS SA und BIOGROS SA sowie privaten Spenden finanziell unterstützt. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit von IBLA, dem Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL), der Sustainable Food Systems GmbH (sfs), dem Luxembourg Institute of Health (LIH) und der University of Luxembourg (Uni LU).

Referenzen

  • Curran, M., Lazzarini, G., Baumgart, L., Gabel, V., Blockeel, J., Epple, R., Stolze, M., Schader, C., 2020. Representative Farm-Based Sustainability Assessment of the Organic Sector in Switzerland Using the SMART-Farm Tool. Front. Sustain. Food Syst. 4, 554362. https://doi.org/10.3389/fsufs.2020.554362
  • FAO (Ed.), 2014. SAFA guidelines: sustainability assessment of food and agriculture systems, Version 3.0. ed. Food and Agriculture Organization of the United Nations, Rome.
  • Ministère de l’Agriculture, de la Viticulture et du Développement rural, 2020. Rapport d’activité 2019. Luxemburg.
  • Schader, C., Baumgart, L., Landert, J., Muller, A., Ssebunya, B., Blockeel, J., Weisshaidinger, R., Petrasek, R., Mészáros, D., Padel, S., Gerrard, C., Smith, L., Lindenthal, T., Niggli, U., Stolze, M., 2016. Using the Sustainability Monitoring and Assessment Routine (SMART) for the Systematic Analysis of Trade-Offs and Synergies between Sustainability Dimensions and Themes at Farm Level. Sustainability 8, 274. https://doi.org/10.3390/su8030274

Autorinnen: Laura Leimbrock-Rosch und Evelyne Stoll (IBLA)